Wir haben den Baum hinausgetragen. Es war traurig für mich, auch wenn er in den letzten Tagen sehr genadelt hat und irgendwie müde aussah. Weihnachten ist vorbei und Silvester auch. Trubelige, volle Tage, an denen man auf eine seltsame Art aus der Realität ausbricht und in einer Wunderwelt landet, in der die Tage ineinander verschwimmen und Zeit keine Rolle spielt.
All dieses in diesem Jahr ohne meinen Vater. Die Sehnsucht nach ihm fühlt sich immer noch groß an. Sie ist verbunden mit einem stillen Schmerz, der die Erinnerungen an das Unwiederbringliche begleitet.
Am letzten Tag des Jahres wanderten wir, mein Mann, unser Hund, ich, stundenlang durch die Wälder. In mir der verzweifelte Wunsch, immer weiterzulaufen. So lange, bis womöglich ein für alle Mal meine Sehnsucht gestillt und ich eine Art von Frieden finden würde.
Es war klirrend kalt und die Welt ganz leise. Mein Mann und ich haben wenig miteinander gesprochen, jeder war in seinen Gedanken. Wir drei, abgeschnitten vom Rest der Welt. Die Erinnerungen an das letzte Jahr krochen von meinem Kopf in mein Herz und explodierten irgendwo in meinen Inneren: mein Unfall, drei Abschiede für immer, meine erneute OP. Ich bin stehengeblieben und habe die Augen geschlossen. Der Geruch von Fichten und Tannen, Waldboden und frischem Harz übertönte plötzlich meine Gedanken und schob ein neues Bild in meinen Kopf: mein Paps in seinem gemütlichen Lieblingssessel, sein Pfeifchen im Mundwinkel, ein Buch auf dem Schoß. Ich atmete tief ein. Mein Paps liebte Märchen und Sagen, sämtliche Art von Science fiction und mystische Geschichten. In den letzten Monaten seines Lebens las er wieder viel in den alten Märchenbüchern. Vielleicht war das schon seine Vorbereitung auf die neue Welt? Ein sanftes Anklopfen an die andere Seite? Ich spürte, wie mir die Tränen das Gesicht herunterlaufen. Mehr nicht. Meine Mauer ist wieder stabiler. Mein Mann nahm mich in den Arm. Ich lehnte mich an seine Brust und hörte sein Herz schlagen. Gleichmäßig und stark. In diesem Moment fühlte ich mich geborgen. Und begriff, dass wir nie wirklich allein sind, solange wir noch Menschen in unserem Leben haben. Und dass es hilfreich ist, sich nicht nur um sich selbst zu drehen, sondern den Blick nach außen zu richten. Denn dann bemerkt man, dass andere auch traurig sind, Probleme haben, Menschen vermissen und manchen geht es wahrscheinlich noch viel schlechter.
„Unter jedem Dach ein Ach“. Diesen Satz hat meine Omchen immer gesagt, wenn im Dorf etwas Unerwartetes passierte, zum Beispiel, wenn sich jemand scheiden ließ, irgendwer erkrankte oder starb. Sie hat sich immer um andere gekümmert, jedem geholfen und dabei ihre eigene Freude und ihr Glück gefunden.
Der Psychologin Sonja Lyobmirsky zufolge sind drei Faktoren für unser Glück maßgeblich: die Fähigkeit, unsere Situation positiv zu sehen, Dankbarkeit zu empfinden sowie die Entscheidung, ob wir gütig und großzügig sein wollen. Auf diesen drei Säulen steht unsere Freude. Schauen wir nur auf das eigene Leid oder richten wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere untrennbare Verbundenheit mit anderen Menschen?
Für das neue Jahr wünsche ich mir und euch und der Welt, dass wir aufeinander schauen. Dass wir aufeinander achtgeben, mitfühlen, empathisch sind. Dass wir voneinander lernen, Mensch zu sein. Und damit Hoffnung und Frieden in diese fragile Welt bringen. Seid entschlossen, bleibt gesund.
Von Herzen, Manu W.
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