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Manuela Wicher

Im Stillen

Am liebsten hätte ich den November ausfallen lassen. In diesem Jahr, das uns so viel genommen hat. Drei Menschen hat es uns genommen, mir meinen Vater.

Früher liebte ich den November. Nebelmonat, Windmonat. Ich lief mit meinen Kindern mit Laternen zum Martini durch die reifberauten Gassen der Stadt, danach gab es warmen Kakao und Martinshörnchen. Wir haben die Kerzen angezündet und das Licht gelöscht. Haben uns ans Fenster gesetzt, die anderen Laternenkinder vorbeiziehen sehen und den Tanz der rotgefärbten Blätter bestaunt, die der Wind durch die Straßen blies. Frohgemut haben wir in die Dunkelheit gesungen: „Mein Licht ist aus, wir geh‘n nach Haus, rabimmel, rabammel, rabum!“ Ohne einen Hauch von Angst oder Trauer.

An den Wochenenden stiegen wir auf den Schwellenberg und ließen Drachen steigen. Und alles, was sich in diesem Jahr angestaut hatte, flog mit unseren wilden Drachenflügen in den dunkelgrauen stürmischen Novemberhimmel. Das ging leicht.   

Jedes Jahr im November war unser „Großes Familienfest“ - Eltern, Kinder, Geschwister, Enkel, siebzehn Menschen an einem Tisch, unsere Sippe ist groß. Die Martinsgans duftete durch die Wohnung und jeder stellte noch was Leckeres auf den Tisch. Kürbissuppe, Klöße, Rotkohl, Backpflaumen … Wir haben gegessen, geredet, gelacht – herzbebendes Novemberbeisammensein.  Wie durch einen geheimen Binde-Zauber haben wir uns so Jahr für Jahr durch den November gerettet.

Meine Kinder sind erwachsen geworden und haben sich mittlerweile gut ein eigenes Leben eingerichtet.  Das Ritual des gemeinsamen Familienessens ist  uns während der Pandemiejahre abhandengekommen und wir haben es einfach nicht wiedergefunden. Dieses Jahr erst recht nicht. So scheint es, als wäre meine ganze Novemberfreude eingegangen, weggeschrumpft, komplett verschwunden.  Nie zuvor in meinem Leben hatte dieser Monat so wenig Tröstliches, so wenig Licht. Trotz dass mein zweites Buch erschienen ist. Trotz dass auch ‘ne Menge guter Sachen passiert sind. Trotz Weihnachten in Aussicht und ein neues Jahr. Es bedeutet mir nicht viel und das beschämt mich. Mein Leben ist in diesem Jahr still geworden. Nur mein Kopf, der weiß nicht wohin mit seinen Gedanken.

In zwei Tagen muss ich wieder ins Krankenhaus. Alles bleibt offen. Wünsch mir Glück so wie ich dir auch welches wünsche. Und vielleicht schneit es bald auf die novemberdunklen Krähenfelder und wird uns eine ganz andere Art von Stille bescheren.  Eine sanfte, einhüllende, beschützende Ruhe. Bis sich wieder etwas regt und anfängt zu strömen und eine Welle wird, die uns ins neue Jahr hineinträgt. Kraftvoll und hoffnungsfroh.

 

Bleib gesund, von Herzen, Manu.

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