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Manuela Wicher

Bisschen quatschen und so

Gestern rief mich meine Tochter an. Das ist nichts Besonderes, es ist nämlich so, dass wir eigentlich fast jeden Tag miteinander telefonieren. Telefonieren klingt so wichtig, dabei sind unsere Telefonate mehr so ein „Ich will nur mal schnell deine Stimme hören – Ding“, am wenigsten geht es um wirklich wichtige Dinge. Meistens rufe ich sie an und meistens dann, wenn ich eine Pause machen will. Wir fragen, wie’s uns geht und kichern ins Handy. Gestern aber klang ihre Stimme etwas besorgt-ernst.

Geht es dir gut?

Bestens, mein Kind. Da wir gerade dabei sind, und dir so?

Ich hörte, wie sie auf der Computertastatur herumtippte. Es klang wie nervöses Pferdegetrappel.

Du hast echt lang schon keinen Blogbeitrag mehr geschrieben.

Ihrem Tonfall nach kommt das einem Fiasko nah. In meinem Kopf krame ich nach dem letzten Eintrag. Sie hat recht, es ist ’ne Weile her. Dazwischen liegen Wochen und Tage, die von Traurigkeit und Kraftlosigkeit eingefärbt waren. Ich erinnere mich an schlaflose Nächte und eine sinnlose Wut in mir. Zwei Menschen sind aus meinem Leben gegangen. Sind in die andere Welt aufgebrochen, als wäre das hinnehmbar, nach einem langen Leben. Dieses Sterben, so kurz hintereinander, als würde uns das Schicksal keine Verschnaufpause gönnen wollen, löste in mir eine Angst aus, die durch meine Knochen kroch und mir jede Luft zum Atmen nahm. Ja, ich habe Angst, ich zittere vor Angst, sie ist nicht wegzureden, nicht  wegzutrösten, diese erstickende Angst, dass ich irgendwann wieder Menschen verlieren werde. Für mich persönlich ist die effektivste Methode, Angst, Trauer oder Leid zu ertragen, wenn ich mich damit beschäftige und versuche, es zu reflektieren. Dafür brauche ich Zeit. Ich brauche Zeit zum Nachdenken und dazu, das Leben zu betrachten. Meines und das Ganze. Ich erinnerte mich an die Begegnungen mit denen, von denen ich Abschied nehmen musste: an ihre Leben und meines mit ihnen, an ihre Gesichter, ihr Lachen, ihren Geruch.

Aus den Gesprächen mit meinen Eltern weiß ich, wie sie aus dem Leben gehen wollen, sollte es eines Tages so weit sein. Ich weiß, wo sie sich ihre letzte Ruhestätte wünschen und ich weiß von ihrem Wunsch, dass wir, ihre Kinder, Enkel und Urenkel, ihr Clan, ihre Sippe, auch nach ihrem Tod ein gutes Leben haben mögen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass das der beste Weg ist, das Andenken an sie zu bewahren: nämlich der Versuch, ihre Wünsche zu erfüllen.  

Tod, Krankheit und Leid ist ein natürlicher Teil des Lebens. Auch wenn wir das gerne weit von uns schieben. In Wirklichkeit holt es uns alle irgendwann ein, egal, wie beschäftigt wir immer sein mögen, wie voll unser Terminkalender auch ist. Dann spielt das keine Rolle mehr.  Das ist ein echt wichtiger Punkt. Denn dann kann man mit einer leisen Gelassenheit sagen: Die letzten Wochen habe ich wenig gearbeitet, genauer, was man von außen so als Arbeit ansieht. Ich habe viel geweint, getrauert, nachgedacht und bin dabei innerlich gewachsen. Ich fühle mich vorbereiteter. Das ist eine wertvolle Erfahrung. Das Schicksal kennt keine Hintertürchen. Wir müssen wohl lernen, ihm gegenüber toleranter zu sein. Demut ist ein schönes Wort, was heute kaum noch einer benutzt.

Das alles habe ich zu meiner Tochter gesagt und ich hörte sie eine ganze Weile still durchs Telefon denken. Dann räusperte sie sich und sagte: "Ich komm nachher mal vorbei, was meinst du? Bisschen quatschen und so.“

Ich wünsche dir einen herrlichen Frühlingsanfang. Alles steht auf Neuanfang. Bleib gesund und hoffnungsfroh, deine Manu W.   

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