Alles, was begonnen hat, endet irgendwann. Dieser Gedanke ist erschreckend und gleichzeitig tröstlich. Ich bin froh, dass der Januar endet. Es war ein trister Dunkelmonat, viel Sturm, viel Regen, wenig Schnee. Fast fühle ich mich von ihm verraten. Kindisch, ich weiß. Aber mit Januar verbinde ich klares Licht und klirrende Kälte. In meiner Erinnerung höre ich beim Laufen den Schnee unter meinen Füßen knirschen und atme kleine Rauchwölkchen in die eisige Luft. Mit meinem Bruder bin ich so lange draußen, bis uns die Fingerspitzen und Zehen anfangen zu kribbeln. Wir haben Rodelbahnen am nahegelegenen Wald angelegt. Es gibt eine Todesbahn und eine Apfelbaumbahn. Letztere rodeln nur die Ängstlichen. Ich bin kein sehr mutiges Kind gewesen. 18 Uhr müssen wir zuhause sein. Da ist es im Januar noch stockduster. Unsere Eltern interessiert das nicht. Hauptsache, wir sind an der frischen Luft. Wir haben keine Uhren. Wenn die Glocke vom Kirchturm sechsmal läutet, rennen wir los. Es brennt, wenn wir die durchgefrorenen Finger unters heiße Wasser halten. Der Preis fürs Schneeglück. Eisblumen wachsen am Fenster in meinem Zimmerchen unterm Dach und meine Mama legt unsere Bettdecken vorm Schlafen in die Backröhre des Ofens. Meine freie und ungezügelte Kindheit ist zu Ende, als ich mit fünfzehn auf ein Internat gehe, um mein Abitur zu machen. Aber in meinen Erinnerungen ist nichts zu Ende. Vielleicht ist das der Grund, dass ich schreibe. Weil ich Angst habe, sonst meine Erinnerungen zu verlieren.
Ich liebe den Januar, er ist mir der verheißungsvollste Monat von allen. Die Seiten in meinem Kalender sind noch leer, das Jahr liegt mit seinen ganzen Möglichkeiten vor mir. Und nun? Einunddreißig Tage unversehens vorbeigeweht. Das Leben interessiert sich nicht für meine Gefühle. Es passiert einfach. Und irgendwann ist es zu Ende. Wie blöd wäre es, wenn ich dann sagen müsste: Prinzipiell war mein Leben ja ganz gut gelebt, aber die Januare, die haben mich dann auf die Letzte schon sehr genervt. Merkst du, worauf ich hinauswill? Genau. Es ist müßig, sich über das Wetter aufzuregen. Meine Oma wiegelte alle Wettergespräche ab mit dem Satz: „Besser als gar kein Wetter.“ Da steckt die ganze Wahrheit drin.
Sei gegrüßt und leb zufrieden. Bis bald!
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