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Manuela Wicher

Die Ahnung von Glück

Mein Omchen sagte immer: „Bleib, egal was passiert, bescheiden.“ Sie sagte viele kluge Sätze. Auch so was wie: „Alles geht vorbei“ oder: „Einmal am Tag muss man warm essen.“ Ich erinnere mich, wie ich bei ihr in der Küche saß und ihr beim Bohnenschnippeln zuschaute. Alles, was sie tat, wirkte so selbstverständlich und mühelos. Sie umgab eine leichte Art zu leben, trotz eines Lebens, das alles andere als leicht gewesen war.

Ich bin 25 und schwanger. Die Schwangerschaft ist ungeplant und verunsichert mich zutiefst. Der Vater des Kindes sieht wahnsinnig gut aus, das ist auch schon alles. Ich habe andere Pläne für mein Leben. Eben war doch noch alles in Ordnung und dann ist alles mit einem Mal anders. Die größte Angst meines Lebens ist eingetroffen, ich verliere meine Freiheit. Ich spüre einen Widerstand in mir, der sich aufrichtet und groß macht und mich trotzig anschreit: Warum? Warum jetzt?

In diesem Augenblick, als ich meine größten Ängste durchleide, sitzt mein Omchen da und schnippelt Bohnen. Ich bin mir nicht so sicher, ob sie verstanden hat. Spätsommerlicht schwebt durch die Küche.

„Es gab wohl nie eine bessere Zeit als jetzt, um Kinder zu bekommen.“

Sagt diesen Satz und legt das schiefe Bohnenmesserchen auf den Tisch. Ich habe keine Kraft um zu widersprechen. Sie nimmt mich in den Arm und drückt mich an ihren zarten alten Bauch. Dieser Moment muss mein Entsetzen von mir gelöst haben.

Als ich meinen Sohn Monate später in den Armen hielt, bekam ich eine erste Ahnung von den kleinen Wundern, die Großes vollbringen. Ich muss oft an mein Omchen denken, vieles erinnert mich an sie. Aber diese eine ganz besondere Erinnerung wird immer in mir sein. Weil sie die Art zeigt, mit der sie durchs Leben ging. Sie nahm es jeden Tag aufs Neue in die Hand und versuchte es zum Guten zu wenden. Auch für alle anderen. Selbst, wenn es noch so schwerfiel und sich vieles schlimm anfühlte: „Es hätte schlimmer kommen können.“

Wir können unsere Lebenszeit nicht ausloten, auch nicht planen oder kontrollieren. Dinge, die uns vor ein paar Tagen noch völlig unmöglich erschienen, sind plötzlich möglich: Kriege, Lottogewinne, Pandemien, Erfolg, Naturkatastrophen, Mutter werden … Und bis heute habe ich die Angewohnheit, grüne Bohnensuppe zu kochen, wenn ich das Gefühl habe, dass mich das Leben mit seinen schwindenden Gewissheiten überrollt. Ich schnipple Bohnen und mit einem Mal bekommt alles eine andere Bedeutung. Warum schreibe ich das auf? Weil es mich rasend macht, dass alle nur noch wütend sind. Mein Omchen war das genaue Gegenteil. Sie war sanft und gütig. Sie hat keinen Groll gehegt und das Leben mit stiller Heiterkeit genommen, wie es kam. Bei ihr habe ich immer Trost gefunden.

Ich wünsche dir ein helles Licht im dunklen November. Herzlichst, Manu.


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